Letzten Monat hat der Weltklimarat seinen neuen Report veröffentlicht. Das 1,5-Grad-Ziel wird wahrscheinlich schon 2030 erreicht, wesentliche Kipppunkte wie das Abtauen des grönländischen und antarktischen Eisschildes sind wahrscheinlich auch schon unumkehrbar eingeleitet.
Was also kann, was also sollte man tun, abgesehen von frugal-globalem „weniger“ in unserer Gesellschaft?
Denker wie Harald Welzer und Niko Paech fordern schon lange, dass wir unseren Lebensstil radikal ändern müssen. Roman Herzogs „Ruck“ muss endlich kommen.
Eine auf maximierten Dopamin- und Serotoninspiegel ausgerichtete Gesellschaft mit ihren individualisierten, hedonistischen Vergnügungen, obwohl am besten für das kapitalistische Wirtschaften, ausgerichtet auf möglichst massiven Konsum und Förderung des Warenverkehrs, hat hier keine passenden Antworten mehr. Oder, kürzer gefasst: Mario Kart spielen rettet die Welt nicht.
Wie viel Produktivität geht beim stundenlangen Jagen nach virtuellen Highscores oder der realen nächsten Kitesurfwelle für die notwendige Umgestaltung unserer Welt verloren? Mit Christian Drosten: Haben wir nichts Besseres zu tun? In echt oder virtuell?
Wo sind die Visionäre, die endlich die einfache Erkenntnis aus Buckminster Fullers „Anleitung für das Raumschiff Erde“ umsetzen, dass wir alle auf diesem Planeten ein würdiges Leben führen können, wenn wir das Verteilungsproblem vernünftig in Angriff nehmen? Wo sind die Populisten, die im Wahljahr laut und deutlich das hohe Lied eines bedingungslosen Grundeinkommens singen? Wie müssen wir unser Bildungssystem umbauen, damit wir deutlich machen, dass gesellschaftliches Engagement, dass Freude teilen und echte Produktivität eine höhere Zufriedenheit erzeugt als die kurzfristige Optimierung der eigenen Lust?
Die Implikationen wären gewaltig, wenn wir den positiven Beitrag zu Gesellschaft und Umwelt als maßgebliches Kriterium für unsere individuelle Sinnstiftung in Berufs- und Freizeitgestaltung einbeziehen würden. Als „Bullshitjobs“ hat David Graeber die Immobilienmakler, Unternehmensberater und Investmentbanker beschrieben (ausgerechnet Unternehmensberater, auch ich selbst zähle mich zu dieser Zunft – aber auch dort kann man sich sein Betätigungsfeld aussuchen – und Weltverbesserung ist nicht per se ausgeschlossen).
Natürlich birgt das die Gefahr, dass sich selbsternannte Meinungsführer berufen fühlen, auszuformulieren, was gut ist „für das Volk“ – das hatten wir schon mal. Um so wichtiger, sich klar zu machen, dass wir alle auf dieser kleinen blauen Perle durch das All segeln und bei allem Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe niemand mehr wert sein kann als der Andere.
Eine Mitarbeiterin der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG (Achtung: Bullshitjob?) hat sich dem Abgleich der aktuellen Daten mit den Modellen des Club of Rome Reports „Die Grenzen des Wachstums“ gewidmet, um festzustellen, was nach den Berechnungen der 70er Jahre in den kommenden Jahren auf uns zu kommt.
Die Aussichten sind nicht so rosig: Im Szenario „Weiter so“ („Business as Usual“ – BAU) werde die Population in den kommenden 70 Jahren weltweit wieder auf das Niveau von 1950 sinken. Also von 7,5 auf 2,52 Milliarden. 2 von 3 Menschen würden sterben. Die Nahrungsmittelproduktion werde in den kommenden Jahren drastisch abnehmen. Nicht nur Hungersnöte drohen, auch die Supermärkte würden wohl nie mehr so voll und bunt wie heute sein, so prophezeiten es die 70er.
Lassen wir unsere Kinder noch die Fischtheken bewundern, der Studie nach gibt es in 20 Jahren kein Sushi mehr, mit etwas Glück vielleicht noch Formfischerzeugnisse „Sushi Art“.
Selbst im anderen Szenario, in dem technologischer Fortschritt („Comprehensive Technology“ – CT) optimistisch einberechnet wird, nähme die Nahrungsmittelproduktion in den kommenden Jahren ab: Die Weltbevölkerung werde stagnieren – und, bedeutsam: Der „industrielle Output“ nehme ab. In der Praxis hieße das: Weniger Bullshitprodukte, Plastikspielzeug in Fast Food Kindermenüs, Giveaways…es werde weniger geben, von so gut wie allem.
Doch dieses – vergleichsweise optimistische – Szenario muss erkämpft werden, die postulierten Innovation müssen tatsächlich gemacht werden, und dann auch umgesetzt werden.
Was braucht es also: Kein halbherziges “Sofortprogramm” einer großen Volkspartei, sondern ein Aussprechen der Wahrheit: Wir müssen alle umdenken und unseren CO2-Footprint reduzieren. Auch, wenn “weniger” eine unpopuläre Ansage ist – wir müssen uns klar machen, dass ein “weniger” von uns trotzdem ein “mehr” für viele Andere erlaubt. Germanzero.de hat einen Entwurf für ein Klimaschutzgesetz vorgelegt, das diesen Namen auch verdient – und der die Weichen in die richtige Richtung stellt. Ansonsten lassen die Programme aller Parteien für die Bundestagswahl 2021 die notwendige Konsequenz für ein 1,5°-Ziel vermissen.
Wir müssen fundamentale Prinzipien ändern, auf manch Gewohntes verzichten: Autos, die die meiste Zeit herumstehen. 2,5t Material werden bewegt, um eine Person von A nach B zu bringen. Billigbrötchen, deren Weizen aus China kommt. 3 mal im Jahr mit dem Flugzeug in Urlaub fliegen.
Es geht nicht darum, ob wir uns Klimaschutz leisten können – es geht darum, ob wir uns – oder vielmehr: unsere Kinder sich – den Klimawandel leisten können. Denn sie werden für unsere langjährige Wohlstandsphase die Rechnung zu zahlen haben.
Anfangen kann und muss jeder bei sich selbst und in seinem persönlichen Umfeld. Vielleicht doch einmal Geld sparen, um die Heizung auf umweltfreundlichere Pellets oder Wärmepumpe umzustellen. Urlaub im eigenen Umfeld machen, statt dem Wahn der “100 places to see before you die” zu folgen (ist meist auch billiger, dann bleibt mehr Geld für die Heizungssanierung übrig). Auto downsizen – oder, noch besser: mit dem Nachbarn teilen. Beim Einkaufen achtsam sein, ob es wirklich die Äpfel aus Chile sein müssen, oder ob es nicht auch welche aus dem Alten Land gibt. Und nur die Textilien kaufen, die man auch wertschätzt, die lange halten – und die man wirklich trägt. Das wäre schon ein Anfang.
Und dann gibt es natürlich die großen Aufgaben. Den Umbau unserer Gesellschaft, unseres Wirtschaftens zu einer Kreislaufwirtschaft, unserer Industrie zu dekarbonisierten Technologien. Das Hinwirken darauf, dass unsere Erfahrungen, unsere Innovationen auch weltweit einen Trend zum Weniger und zur Dekarbonisation auslösen.
Mario Kart? Ich habe Besseres zu tun….