Die Zeit läuft…. auch, wenn aktuell der Fokus auf näheren Katastrophen liegt: Nach dem letzten Bericht des IPCC könnte bereits 2026 das 1,5°-Ziel überschritten werden. Um so wichtiger, die entscheidenden Schritte zur Dekarbonisierung unserer globalen Ökonomie noch viel schneller zu gehen als bisher beabsichtigt. Dass als Nebeneffekt eine Unabhängigkeit von den Lieferanten fossiler Rohstoffe erreicht wird, sollte nicht nur in Europa als strategische Chance betrachtet werden. Global wird die Energieversorgung neu aufgestellt – nicht nur für Strom, sondern für den gesamten Primärenergiesektor. Ein Umdenken in großen Dimensionen ist gefordert, und einige Leitlinien kristallisieren sich heraus:
- Energie wird in unseren Volkswirtschaften in Form von Strom, Wärme und Treibstoffen für den Mobilitätssektor benötigt – der sogenannte Primärenenergieverbrauch.
- Alle diese Sektoren werden sich massiv verändern. Dazu sind gewaltige Anstrengungen notwendig – man denke nur an die Umrüstung aller Häuser, die aktuell ihren Wärmebedarf im Winter “fossil” mit Gas und Öl decken. Also müssen Onkel Horst und Tante Trude die Ölheizung aus den 90er Jahren, die ja noch “fast neu” ist, unbedingt in den nächsten Jahren ersetzen. Wärmepumpe oder Pellets scheinen aktuell die einzigen CO2-neutralen Alternativen (bevor der Einwurf kommt: Holzverbrennung stößt zwar auch CO2 aus, gilt aber als CO2 neutral, da nachwachsend, also nicht fossil – und, ja, das Feinstaubproblem muss man dabei entsprechend lösen).
- Kernkraft wird für den Strommarkt nicht die Lösung sein. Abgesehen davon, dass die Kernkraftwerke in Deutschland schon längst über ihre letzten Wartungszyklen hinaus betrieben wurden und bei erneuter Verlängerung bzw. Wiederinbetriebnahme erst einmal eine gründliche Überholung notwendig wäre, bleiben die Probleme der Brennstoffversorgung (großer Uranexporteur: Russland), der Abfallentsorgung und des Restrisikos ungelöst.
- Es wird ein Speichermedium zwischen Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen und Verbrauch notwendig, denn Energie wird zu bestimmten Zeiten gebraucht – Licht in der Dunkelheit, Wärme im Winter, Treibstoff bei Fahrtbeginn. Experten sind sich mittlerweile einig, dass der Weg über Wasserstoff und damit synthetisierte “grüne” Energieträger (grünes Methanol, Ammoniak und Benzin) unverzichtbar ist. Warum? Es braucht einen Energieträger, der transportabel und speicherbar ist und somit zeitliche und räumliche Distanz zwischen Erzeugung und Verbrauch überbrücken kann. Damit bleibt die Frage nach der kostengünstigsten Lösung eine Frage nach Energiedichte, langfristiger Stabilität und notwendigen Vorsichtsmaßnahmen als Treiber für die Kosten von Lagerung und Transport. Wasserstoff schneidet hier, da sind sich Experten einig, sehr gut ab: Es lässt sich lagern – in Salzkavernen oder Druckspeichern – und via Gaspipelines oder verflüssigt (was allerdings zusätzlich kostet) transportieren .
Aber warum dauert das so lange mit der Wasserstoffwirtschaft? Offensichtlich wollen das ja alle, die Forschung brüstet sich immer mehr mit ihren marktreifen Lösungen, die Wirtschaft ist seit Jahren in den Startlöchern, politischer Wille ist auch da, jetzt mehr denn je….Und angesichts der gestiegenen Energiekosten werden unabhängige, konstante Quellen der Energieversorgung immer attraktiver.
Woran hakt’s also?
Der Teufel steckt, wie so oft, im Detail. Fangen wir oben an: Schon auf europäischer Ebene sind seit 2018 in der “Renewable Energy Directive” (umgangssprachlich: RED II, da die 2. Novelle einer bereits 2009 erlassenen Direktive) verbindliche Klimaziele festgelegt, dabei geht es um die “Dekarbonisierung” der gesamten Wirtschaft, also eine Abkehr von fossilem Kohlenstoff als Energieträger und Rohstoff. Das soll unter anderem durch den Einsatz von “grünem” Wasserstoff geschehen. Aber wann ist Wasserstoff eigentlich “grün”? Dies soll in einem gesonderten Rechtsakt (einem “Delegated act” – in etwa so wie eine Verordnung im deutschen Rechtssystem) durch die Europäische Kommission festgelegt werden, und um diese Definition wird jetzt schon seit mehr als 2 Jahren gerungen. Kein Wunder, sprechen im sogenannten “Trilog” formell und auch informell doch noch europäischer Rat und europäisches Parlament mit, es gibt Vorschläge und Gegenvorschläge, Konsultationsfristen, in denen dann von Lobbyverbänden fleißig kommentiert und kritisiert wird, Überarbeitung auf Überarbeitung…. und das verzögert den Prozess. Und während der ganzen Zeit sitzen Unternehmen schon an der Planung großer Projekte und hätten gerne Planungssicherheit, welche Art von Strom sie für die Produktion ihres eigenen grünen Wasserstoffs nehmen dürfen. Darf’s auch Atomkraft sein? Nur aus dem eigenen Land, oder auch aus dem Ausland? Nur von neuen Anlagen (der “grüne” Strom existierender Anlagen ist ja vielleicht bereits weitgehend verplant….)? Nur im Gleichklang mit der Erzeugung, und wenn ja, dann viertelstunden-, stunden- oder sogar nur monatsgenau? Sollen Übergangsfristen gelten, und wenn ja, welche und bis wann?
Nicht, dass diese ungelösten Fragen den politischen Gaul bremsen würden – gleichzeitig werden – auch auf europäischer Ebene – ambitionierte Förderprogramme für “Wichtige Projekte von gesamteuropäischem Interesse” (korrekt: IPCEI: Important Projects of Common European Interest) aufgelegt, explizit für Wasserstoff. Dabei, korrekt gesagt, sind das gar keine Förderprogramme, sondern definieren nur Rahmenbedingungen, nach denen sich einzelne Mitgliedsstaaten bei der Förderung von Projekten über die üblichen Begrenzungen (maximal 50% der Investitionskosten) hinwegsetzen dürfen, ohne dass dies auf europäischer Ebene als verbotene Wirtschaftssubvention angekreidet wird. Dazu muss sich aber ein Projekt im Rahmen eines solchen gemeinsamen Vorhabens akkreditieren – und das wird durch die EU geprüft, und erst nach der Prüfung kann dann ein eigentlicher Förderantrag gestellt werden… und in der Zwischenzeit verinnen Monate, Jahre, und Rahmenbedingungen ändern sich, Zinsen steigen, Preise auch, und die Zahlen, mit denen man bei der ursprünglichen Einreichung gerechnet hat, sind längst durch die Realität zur Makulatur geworden. Nur die politischen Mühlen mahlen unerbittlich langsam weiter, trotz aller verbliebener Unsicherheit.
Und die Unternehmen? Warten immer noch auf Rechtssicherheit und werden immer unruhiger, denn die ursprünglich mit Förderung ökonomisch sehr knapp als realisierbar berechneten Projekte verlieren mit neuen Zahlen schnell die profitable Perspektive – selbst, wenn eingerechnet wird, dass auch die fossilen Rohstoffe wie Erdgas aktuell zu Höchstpreisen gehandelt werden. Vor allem, weil der Strompreis so exorbitant gestiegen ist – eine Folge des Marktmodells auf dem Strommarkt, das dem “Merit-Order-Prinzip” folgt. In aller Kürze: Der Preis des teuersten, zur Deckung des Bedarfs gerade noch zuzukaufenden Stromproduzenten, gilt für alle Anbieter, unabhängig von deren Gestehungskosten. Das Modell soll dafür sorgen, dass die Investitionen in günstige Stromproduktionsanlagen belohnt wird – das waren bisher oft effiziente Gaskraftwerke mit billigem russischem Erdgas, allerdings haben sich die Verhältnisse längst und, durch die jüngsten Entwicklungen, überdeutlich, umgekehrt. Erneuerbare Energie aus Sonne und Wind aus Festlandsanlagen ist konkurrenzlos günstig zu produzieren. Die Produzenten freuen sich über zusätzliche Einnahmen aus hohen Strompreisen, weil der Gaspreis auch ihnen einen Geldregen beschert. Und diese kurzfristigen Preishöhenflüge an den Strombörsen übertragen sich auch auf die langfristigen Lieferverträge, deren Preisniveau ebenso gestiegen ist.
Glücklich, wer in solchen Zeiten auf eine integrierte Wertschöpfungskette schauen kann und seinen eigenen Strom erzeugt, ihn zu transportabler und speicherbarer Energie veredeln und dann erst verkaufen oder sogar selbst verwerten kann. Leider sind das die wenigsten Konzerne, und selbst wenn, dann ist meist jede Sparte in ein eigenes Silo hineindefiniert, das für sich selbst die sogenannten “Opportunitätskosten” berechnet – also: ergäbe sich nicht noch ein profitableres, anderes Geschäft, z.b. wenn wir unseren eigenen, selbstproduzierten grünen Strom einfach woanders hin verkaufen als in unsere Grünstromproduktion? Also torpediert letztendlich die gute, kapitalistische Tradition der Profitmaximierung die dringend benötigten Investitionsvorhaben, weil Faktoren wie “trägt zur Bekämpfung der Klimakatastrophe bei” sich in den Projektberechnungen und Verkaufsstatistiken nicht hinreichend niederschlagen und somit umständlich politisch bepreist und einberechnet werden müssen.
Natürlich bewegen wir uns in einem marktwirtschaftlichen Umfeld, in dem eben die Nachfrage, und nicht die Gestehungskosten, den Preis bestimmt – und aktuell wird Energie generell, aber vor allem auch “grüne” Energie, händeringend nachgefragt. Und dadurch werden Preise gezahlt, die für viele ambitionierte Projekte mit innovativen Technologien wie der Planung großer Elektrolyseure zur heimischen Wasserstoffproduktion, zum Fallstrick werden können.
Und beim Verbraucher? Wo sind denn nun die ganzen Toyota Mirai, die endlich emissionsfreien Verkehr auch ohne 30-Min-Ladepause ermöglichen? Soll endlich kommen, sobald es eine Wasserstoff-Tankstellen-Infrastruktur gibt. Die erst aufgebaut wird, wenn es genügend Wasserstoff-Fahrzeuge auf den Straßen gibt. Das Henne-Ei-Problem, das sich bei der Elektromobilität Dank Abwrackprämie und Hipstertum eines Tesla dann doch vermeintlich recht schnell aufgelöst hat (von den Problemen der Stadtwerke mit den Verteilnetzen, wenn jeder zweite Haushalt abends sein E-Mobil laden will, einmal vorerst abgesehen), gilt genauso für Wasserstoff-Mobilität. Der seit Jahren erhoffte Impuls vom Schwerverkehr, der lieber kleine, schnell zu betankende Wasserstofffahrzeuge mit großer Nutzlast als große, schwere Batterien schleppende Zugmaschinen mit reduzierter Nutzlast präferiert, ist bisher noch nicht auf den Straßen angekommen.
Die Zeit drängt, es wird nicht nur knapp mit dem 1,5°-Ziel, es gibt laut IPCC nur noch eine minimale Restchance, es überhaupt zu erreichen – Zeit, dass wir alle anfangen. Onkel Horst und Tante Trude bei ihrer Heizung (und ihrem alten Verbrenner), die Gesetzgeber bei den Einigungsprozessen, und die Investoren bei den konkreten Projekten.