Wir erleben einen Umbruch. Unser bisheriges, von Öl und Gas angetriebenes Wirtschaftsmodell verändert sich: Der Primat der fossilen Energieträger, die gefördert, transportiert und dann entweder direkt als Treibstoff verbrannt oder in Strom umgewandelt werden, schwindet. Strom spielt in Zukunft die Haupt- und Schlüsselrolle. Er kann direkt aus erneuerbaren Quellen gewonnen und direkt in Mobilität und Industrie – und, oft vergessen: mittels Wärmepumpte auch zum Heizen – eingesetzt werden. Energieträger wie Wasserstoff und Derivate wie grüner Ammoniak, Methanol und SynFuels sind “nur noch” zur Zwischenspeicherung als Abfederung der Erzeugungsvolatilität und für spezielle Anwendungszwecke notwendig, in denen eine rein stromgetriebene Lösung nicht realisierbar ist – weil z.B. zu hohe Temperaturen erreicht werden müssen.
Was bedeutet das für die Player in diesem Wirtschaftssegment?
Die bisherigen Primärenergieversorger, die Kohle, Rohöl und Gas an Verbraucher, Industrie und Stromerzeuger lieferten, finden sich auf einmal an einer anderen Stelle der Wertschöpfungskette wieder: Statt die Nutzung des primären Rohstoff zu sichern und ein Vorprodukt an Veredler zu verkaufen, die daraus dann u.a. Strom herstellen, sind es jetzt die Stromproduzenten, die günstig erneuerbare Energiequellen erschließen, aus deren Überschuss noch andere Energieträger für Transport, Speicherung und Spezialanwendungsfälle erzeugt werden können. Für beide Akteure bedeutet das einen große Transformation: Lebte die Stromerzeugung bisher vor allem heimisch in zentralisierten Anlagen und organisierte eine Lieferkette von Brennmaterial, spielen jetzt dezentralisierte Anlagen, gegebenenfalls auch in weit entfernten Regionen mit günstigen Bedingungen wie Chile und Namibia, eine Rolle. Was bleibt? Für die Fossilplayer: Ihre Kompetenz in Lager und Transport. Für die Stromproduzenten: Ihre Kompetenz in Vermarktung, sei es direkt via PPA/Spotmarkt oder direkt an die Verbraucher. Fast alle anderen Elemente der Wertschöpfungskette hingegen müssen angepasst werden.
Fossilhändler können sich nicht mehr auf Ihre bisherigen Explorationslizenzen und -partnerschaften stützen, sondern müssen neue eingehen – mit einer Industrie, die bisher ihre Kunden waren: die Stromerzeuger. Wobei hier die mögliche Kleinskaligkeit und Einfachheit der Erzeugung von grünem Strom – der Aufbau eines großen PV Feldes oder eines Windparks ist von einer geringeren Komplexität als ein großes Kohlekraftwerk mit Dampfturbine – für das Auftreten neuer Akteure auf dem Spielfeld sorgt: Die großen Energieversorger wie RWE, EnBW, E.On und Vattenfall in Deutschland, sind plötzlich mit kleinen Projektentwicklern im Boot. Und auch die großen Fossilmultis wie Shell, BP, Rosneft und Gazprom sehen sich plötzlich kleinen Dealmakern gegenüber, die ebenso Lieferverträge aushandeln – über Produkte, die es erst in der Zukunft geben wird.
Es wird in den nächsten Jahren spannend werden, diese Transformation zu beobachten und zu verfolgen. Wer wird sich mit welcher Strategie wie schlagen?
Auch auf anderen Feldern wird die Entwicklung interessant zu verfolgen: Neben vollkommen neuen Produkten – Stichwort: Elektro- und Wasserstoffantrieb statt Fossilverbrenner – und der dazugehörigen Infrastruktur wird die oben angesprochene Dezentralisierung des Energieproduktionsmarktes neue Player hervorbringen. Energy Harvesting, die Nutzung von Energiepotentialen, die bisher ungenutzt blieben, wie Seeflächen oder die Mittelstreifen von Autobahnen, rücken plötzlich in den Fokus. Auf Google finden sich schon haufenweise Patente für die Nutzung von Windenergie in U-Bahn- und Zugtunnels. Allerdings erfordern diese Technologien auch Projektentwickler, die in der Lage sind, solche – gemessen am durchschnittlichen Kohlekraftwerk – Kleinprojekte auch trotzdem gewinnbringend umzusetzen. Angesichts eines Stromoligopols mit begrenztem Marktzugang z.B. zur Direktvermarktung auch kleiner Energiemengen ist das eine große Herausforderung für den politischen Gestaltungswillen.
Natürlich sind bei der technischen Umsetzung auch vor allem Ingenieure gefragt – die Lösungen sind häufig noch in der Erprobung, es braucht skalierbare Produktion und standardisierte Betriebsmodelle.
Auch bei der Biomassegeneration – z.B. bei der CO2-Bindung in Algenreaktoren – zeigt sich kleinskaliges Potential jenseits von großindustriell gehypten CCS-Projekten. Für die Fans der Autarkie gibt es bereits Wasserstoffspeichersysteme für zuhause, mit denen das Sonnenlicht des Sommers für den Strom- und Wärmebedarf im Winter genutzt werden kann.
Ob der Gesetzgeber diesmal den Trend zur Kleinteiligkeit und dezentralen Strukturen unterstützt, oder sich der Einfachheit halber doch lieber auf einfluss- und wirkmächtige Lobbyvertreter verlässt, die ihre Pfründe sichern? Die nächsten Jahre werden es zeigen – im Interesse unserer Kinder sollten wir das Beste wünschen: Alles, was uns schnellstmöglich in eine dekarbonisierte Wirtschaft bringt.